Sep. 122025
 

Die Einsamkeit im Dienst für das Evangelium

Im Zweiten Timotheusbrief kommt ein ungewöhnliches Thema ganz zentral zur Sprache: die Einsamkeit. Dabei handelt es sich aber nicht um die Einsamkeit eines Menschen, der Schwierigkeiten hat, Kontakte zu knüpfen oder dessen vertraute Mitmenschen gestorben sind, sondern um die Einsamkeit eines Menschen im Dienste des Evangeliums. „Paulus“ – vermutlich ein Theologe, der sich der Wahrung paulinischer Rechtgläubigkeit verpflichtet sieht – versteht sich als Herold, Apostel und Lehrer. Aufgrund dieses vielfältigen Dienstes für das Evangelium ist „Paulus“ seinen Worten nach in Gefangenschaft geraten. Wir haben anzunehmen, dass auf die Gefangenschaft des Paulus am Ende seines Lebens in Rom angespielt wird.

Das Leid als Merkmal christlicher Existenz und Gemeindeleitung

Für die Einsamkeit gibt es einen entscheidenden Grund: Die paulinische bzw. für paulinisch gehaltene Theologie, die „Paulus“ verkündigt und lehrt, fällt keinesfalls überall auf fruchtbaren Boden, sondern stößt oft auf Widerstand oder steht mit anderen Lehren in Konkurrenz. „Paulus“ bekommt außerhalb und innerhalb der Kirche Gegenwind und sieht die rechte Lehre des Paulus in Gefahr. Der Einsatz für das Evangelium gemäß paulinischer bzw. für paulinisch gehaltene Lehre bringt „Paulus“ Leid. Er macht „Titus“ – vermutlich handelt es sich nicht um den Mitarbeiter des Paulus, sondern um eine Persönlichkeit, die kirchliche Amtsträger repräsentiert – klar, dass standhafte christliche Existenz im Allgemeinen und kirchliche Leitungsfunktionen im Besonderen Leiden mit sich bringen. Dazu gehören Misshandlungen, Beleidigungen, Gefangenschaft und Einsamkeit. Dabei geht das Leid geht sowohl vom Staat als auch von nichtchristlichen Mitmenschen und von (pseudo-)christlichen Irrlehrern aus.

„Paulus“ ist nicht so einsam wie es scheint

Beim genauen Lesen des Bibeltextes fällt aber auf, dass „Paulus“ zwar seine Einsamkeit und Verlassenheit betont, aber offensichtlich nicht so einsam und verlassen ist, wie er es darstellt. So ist „Paulus“ vom „Haus des Onesiphorus“ aufgesucht, gefunden und erquickt worden. Er hat also von ihm in irgendeiner Form Beistand bekommen. „Paulus“ betont, dass er von verschiedenen Mitarbeitern in seiner Gefangenschaft und bei seiner „ersten Verhandlung“ (vor Gericht) im Stich gelassen wurde, jedoch lassen seine Formulierungen die Möglichkeit offen, dass die kritisierten Mitarbeiter für ihre Abreise einen nachvollziehbaren Grund hatten und nicht einfach nur feige und untreu waren. Dies ist umso mehr anzunehmen, dass auch „Titus“ erwähnt wird. Titus war ein enger Mitarbeiter des Paulus und wieso sollte „Paulus“ an „Titus“ – ebenso wie „Timotheus“ wohl als ein Repräsentant kirchlicher Amtsträger gedacht – einen eigenen Brief richten, wenn er doch so feige und treulos war? Ein genauer Blick auf die Formulierungen zeigt, dass die Abreise des „Titus“ gar nicht kritisiert, sondern nur festgestellt wird. Es ist ja auch gar nicht sicher, dass der „Titus“ des Zweiten Timotheusbriefes und der „Titus“ des Titusbriefes ein und dieselbe Person meinen. Und am Ende des Briefes lässt eine ganze Anzahl Christen, die bei „Paulus“ gewesen sein müssen, an „Timotheus“ Grüße ausrichten. Wäre „Paulus“ einsam und verlassen gewesen, wären die Grüße gar nicht möglich gewesen.

Die geistliche Aussage hinter der Betonung von Leid und Einsamkeit

Ist angesichts dieser offensichtlich nicht ganz sachgemäßen Darstellung „Paulus“ ein Lügner, der nur um sich kreist, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen und bemitleidet werden will? Möchte „Paulus“ vielleicht als heldenhafter Christ dastehen, der den anderen Christen hinsichtlich der Festigkeit seines Glaubens überlegen ist? Eine solche Deutung würde dem geistlichen Aussagegehalt des Zweiten Timotheusbriefes nicht gerecht werden. „Paulus“ geht es vielmehr darum, dass christliche Existenz, zumal die Gemeindeleitung, Leid mit sich bringt und Standhaftigkeit angesichts des Leides keinesfalls selbstverständlich ist. Diese Standhaftigkeit mahnt er an. „Paulus“ betont aber auch, dass das irdische Leid nicht entscheidend ist, sondern es letztendlich um die „Rettung“ geht – die Rettung aus dem Unglauben, Irrglauben und dem daraus resultierenden Fehlverhalten samt der Verfolgung der Christen. Die „Rettung“ erfolgt hin zum Himmelreich. Der „Retter“ ist nicht irgendein Mensch, sondern Gott bzw. Jesus Christus.

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